Zu dieser Runde waren, abgesehen von den Jugendlichen natürlich, auch ein paar Gäste aus der Politik und Wissenschaft eingeladen worden. Folgende Personen diskutierten mit uns und gaben Einblick in ihre Arbeit und Erfahrungsschätze:

  • Susanna Kahlefeld vom Bündnis 90 / Die Grünen, welche im Abgeordnetenhaus (AGH) im Ausschuss für Bürgerschaftliches Engagement mitarbeitet und sich für Investitionen in Schulen und Kitas einsetzt.
  • Stefan Evers von der CDU, welcher im AGH im Ausschuss für Europa- und Bundesangelegenheiten, im Medien Ausschuss für Stadtentwicklung und Wohnen, sowie im 2. Untersuchungsausschuss „BER II“ mitwirkt.
  • Bernd Schlömer von der FDP, welcher für seine Fraktion die Funktion des Sprechers für Bürgerrechte und Digitalisierung übernimmt. Zudem setzt er sich mit rechts-, innen- und kriminalpolitischen Themen auseinander.
  • Timo Lange von Lobbycontrol – Initiative für Transparenz und Demokratie e.V., welcher sich für Transparenz, eine stärkere demokratische Kontrolle und klare Schranken der Einflussnahme auf Politik und Öffentlichkeit einsetzt.
  • Dr. Ulrich Bleyer, Vorstandsmitglied der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, welcher somit sozusagen die wissenschaftliche Seite oder die der Expert*innen repräsentiert. Zudem war er jahrelang Geschäftsführer von Urania, einem Zentrum für den Dialog von Wissenschaft und Öffentlichkeit.

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde der Gäste baten wir die Jugendlichen sich dazu zu äußern, was sie sich von diesem Austausch/Diskussionspanel erhoffen und mit welchem Gefühl sie in die Runde gehen. Einige wünschten sich mehr Verständnis und einen Überblick darüber, wie in der Politik Entscheidungen getroffen werden und welche Aspekte diesbezüglich Beachtung finden. Andere forderten einen sehr kritischen Austausch und gewisse Erklärungen von Seiten der Politik: Warum zum Beispiel der Entscheidungsprozess so langwierig von statten gehe und ihrer Meinung nach nicht angemessene Entscheidungen bezüglich der Klimakrise getroffen würden.
Im Anschluss begannen wir mit einem kurzen Brainstorming zu der Frage, was eigentlich eine gute Entscheidung ausmacht. Diesbezüglich wurde genannt, dass die Entscheidung gemeinwohlorientiert, legitim, vernunft- und wertebasiert sowie durch Inhalt und Ausmaß bestimmt sein und eine gewissen zeitliche Dauer aufweisen sollte. Zusätzlich wurde auf die Notwendigkeit einer guten Informationsgrundlage, Transparenz, viel Reflektion und eine faire Beteiligung verwiesen.

Hauptauslöser: Zeitdruck

Dann erst begann unsere eigentliche Diskussion mit folgendem Ablauf: Wir hatten geplant, uns nacheinander die Aspekte „Auslöser, Fakten, Meinungsbildung und Umsetzung“ anzugucken und diesen jeweils ca. 15 min zuzuschreiben.
Bezüglich des Abschnittes „Auslöser“ stellten wir folgende Fragen: Was sind für gewöhnlich Auslöser, aufgrund derer politische Entscheidungen getroffen werden? Wie erfolgt die Prioritätensetzung (also welche Problematik „durchkommt“)? Und explizit an die Jugendlichen gerichtet, fragten wir, ob sie das Gefühl haben, dass die Angelegenheiten, die ihnen wichtig sind und die sie als sehr problematisch ansehen, ausreichend angegangen werden.

Von Stefan Evers wurde als Hauptauslöser Zeitdruck genannt. Von den Anderen wurde noch äußerer Zwang, Verbände, Medien und gesellschaftlicher Druck genannt. Zudem wurde auf den Unterschied zwischen internen und externen Entscheidungen verwiesen und dass die deutschen Parlamente Arbeitsparlamente seien und dass es somit maßgeblich darum gehe, Entscheidungen zu treffen. Hinsichtlich der letzten Frage wurde gesagt, dass bezüglich der Klimakrise und auch der Bildung nicht ausreichend radikale und den Umständen angemessene Entscheidungen getroffen würden.

Hinsichtlich des Abschnittes „fachliche Grundlagen“ fragten wir, ob wir und die Politik eigentlich nach Bauchgefühl oder Fakten entscheiden, was genau Fachleute sind bzw. woher die Informationen kommen und wie Expert*innen mit einbezogen werden. Ein interessantes Zitat von Stefan Evers zu einer der Fragen und im Hinblick auf den BER Untersuchungsausschuss lautet zum Beispiel: "Erst auf 10 Jahre wissen wir, wie gut Entscheidungen sind. Da haben wir keinen gefunden, der für seine Entscheidungen nicht gute Gründe gehabt hat".

"Es ist immer eine Gruppenentscheidung"

Zum dritten Block „Meinungsbildung“ stellten wir zuerst die Frage, wie mit den Infos und Meinungen der Expert*innen (Vertreter*innen der Wissenschaft usw.) umgegangen wird. Des Weiteren fragten wir, wie die Bevölkerung/Allgemeinheit miteinbezogen wird und wieviel Kompromissbereitschaft gut ist bzw. wie viele Kompromisse teilweise gemacht werden müssen, damit es überhaupt zu einer Entscheidung kommt und was diese Entscheidung dann (noch) wert ist. Dazu gab es sehr viel Redebedarf, weshalb wir diese Phase auf 30 Minuten ausdehnten und den letzten Block wegließen. Die Fragen, welche wir uns für den vierten Abschnitt überlegt hatten, wurden zum größten Teil auch schon mitbeantwortet (Bspw. Probleme bei der Umsetzung, der Eindruck der Jugendlichen und „Langfristige Planung vs. Legislaturperiode?“).

Es wurde gesagt, dass natürlich Fakten miteinbezogen werden, aber nicht in allen Bereichen gleichermaßen. Susanna Kahlefeld bekundete, dass bei den Wissenschaften zu wenig an die Sozialwissenschaften gedacht würde und mit den Fakten aus diesem Bereich viel zu wenig gemacht würde, da „können sich die Sozialwissenschaftler*innen den Hals heiser rufen“. Ulrich Bleyer brachte den Unterschied zwischen politischen und Sachentscheidungen ein und erklärte, was eine politische Entscheidung ausmache. Er erzählte, dass hierbei Fakten nicht die einzige Grundlage seien und die Politik Sinnfragen mit einbeziehen müsse. Er betonte, dass es „nicht so einfache Antworten auf komplexe Fragen“ gäbe und „die Wissenschaft die Welt nicht komplett erklären“ könne. Grundlegend sei es außerdem wichtig, erst einmal zu klären, was wir wollen und wohin. Daraufhin warf ein Jugendlicher ein, dass bestimmte Fakten aber nur eine Entscheidung zuließen (Bsp. Klimakrise) und ein anderer, dass Wissenschaft auch nur stattfinden könne, wenn sie staatlich gefördert wird und generell eine Frage des Kapitals sei, weshalb sie meist mit wirtschaftlichen Interessen verbunden sei. Timo Lange unterstütze diese These und appellierte, immer zu gucken, wer Studien in Auftrag gegeben und finanziert hat und machte darauf aufmerksam, dass viele Expert*innen Verbindungen zu Unternehmen haben und bei bestimmten Themen eine* unabhängige* Expertin* extrem schwierig zu finden sei, beispielsweise bei der Finanzpolitik.

Stefan Evers bekundete, dass es wichtig sei zu überlegen, wer der Adressat der Entscheidung ist und die Bedürfnisse derjenigen zu berücksichtigen. Bernd Schlömer erzählte, dass er bei der Peergroup nachfrage (in Sachen Digitalisierung zum Beispiel den Chaos Computer Club mit einbeziehe) und es immer eine Gruppenentscheidung sei. Susanna Kahlefeld verwendete als Beispiel die Deutschkurse für Geflüchtete und erzählte, dass dort ganz viel Fachwissen mit einfließe, zum Beispiel wenn es um die Frage geht, wie ein solcher Kurs aufgebaut sein sollte und wie viele Stunden in der Woche geeignet seien. Schlussendlich, wenn es aber um das Asylrecht und den weiteren Verbleib der Person geht, sei es immer eine politische Entscheidung, da es diesbezüglich auf die Grundsätze und Werte der jeweiligen Partei ankomme. Welche politische Entscheidung aus den Fakten „gemacht“ wird/resultiert, sei sehr unterschiedlich, weshalb Menschen auch verschiedene Parteien wählen.

Entscheidungen auf "Enkeltauglichkeit" prüfen lassen

Darüber, dass Kompromisse unabdingbar sind, waren sich von Seiten der Politik alle einig. Stefan Evers wies darauf hin, dass selbst das Wahlergebnis dies deutlich mache und wenn eine Partei weniger als 50 % der Stimmen bekommen habe, müsse diese Partei logischerweise Kompromisse eingehen. Zudem sei es wichtig, den anderen Parteien „auch mal etwas zu gönnen“. Eine Jugendliche warf ein, dass sie das Gefühl habe, dass bei Kompromissentscheidungen niemand glücklich sei und eine andere meinte, dass „der Kompromiss, der am Ende entsteht, das ursprüngliche Anliegen aushebele“. Susanne Kahlefeld erzählte daraufhin, dass aus Diskussionen resultierende Kompromisse innerparteilich sehr gut seien, außerparteilich aufgrund der verschiedenen Wertekanons keinen wirklichen Mehrwert hätten. Ein Jugendlicher gab noch zu bedenken, dass bei Lobbying sehr viel Chancenungleichheit bestehe. Lehrkräfte und Erzieher*innen hätten zum Beispiel so gut wie keine Kraft und Zeit sich neben der Arbeit auch noch in die Politik miteinzubringen, wohingegen die Autolobby sehr viel Geld und Menschen dafür einsetze. Eine weitere Teilnehmerin schlug vor, die Entscheidungen immer auf „Enkeltauglichkeit“ zu prüfen und diese mitzubedenken. Viele, die momentan Entscheidungen treffen, verstürben bald und hätten nur im Sinn, wie gewohnt weiterzuleben. Ulrich Bleyer unterstütze diese Aussage, indem er meinte, dass „wir uns daran gewöhnen müssen, zurückzustecken. Wir leben in einer so individualisierten Gesellschaft, dass es uns schwer fällt, uns dem Gemeinwohl unterzuordnen“. Zudem sei die Politik sehr ritualisiert. „Wir müssen da mal ausforsten und Ehrlichkeit abverlangen und Wege finden, um schneller zu werden“, so Ulrich Bleyer.

In der Abschlussrunde konnte jede Person erzählen, was sie aus dieser Runde mitgenommen hat und was für Wünsche und Forderungen an die jeweils andere Seite bestehen. Einige Teilnehmende sagten, dass sie nun mehr Verständnis für die Politiker*innen hätten und sensibilisierter für die Komplexität der Gesamtzusammenhänge seien. Die Ausgangsfrage zeige schon, wie komplex das Thema sei. Susanna Kahlefeld meinte, dass es Sinn habe, lange zu diskutieren und sich in so einem Rahmen auszutauschen und dass sie das Gefühl hat, dass es funktioneller und rationaler werde. Andere Teilnehmende waren frustriert und hätten nun mehr Fragen als vorher und fanden es demotivierend zu erleben, dass trotz der ganzen Interessierten das System so starr sei und die wirtschaftlichen Interessen im Vordergrund stünden. Bernd Schlömer merkte an, dass wohl ein gewisses Vorurteil gegenüber der Politik vorhanden sei, nämlich dass es hauptsächlich um Profit ginge und das sei seiner Meinung nach insbesondere bei der rot-rot-grünen Regierung in Berlin falsch. Von Seiten der Politik wurde aber auch eingestanden, dass sie zu langsam seien und momentan einfach nicht „delivern“ (= abliefern). Von Seiten der Jugendlichen wurde gefordert, mehr auf die jüngeren Generationen zu hören, diese viel stärker einzubeziehen und dass allen bewusst gemacht werden müsse, dass es einfach schon 5 nach 12 ist.

Text: Delia Schulte

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